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Auf dem Klinikdach landen Pollen in der Falle
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- 18.02.2016
Volkskrankheit Allergie: In Borstel wird an verbesserter Immuntherapie gearbeitet – Helfen soll dabei auch eine neue Pollenmessstation
Von Nadine Materne, Lübecker Nachrichten, Ausgabe 14./15. Februar 2016
Borstel. Die Augen jucken, die Nase kribbelt: Wegen der milden Witterung können bei Pollenallergikern schon jetzt erste Beschwerden auftreten. Hasel und Erle fliegen bereits. Zwar ist die Belastung laut Polleninformationsdienst (PID) in Schleswig-Holstein noch gering bis mittel. Bei den Nachbarn in Mecklenburg-Vorpommern dagegen zeigt die Karte des PID bereits eine rötliche Färbung, das Pollenaufkommen ist hier schon mittel bis hoch. Da Pollen aber kaum auf Landesgrenzen achten, kann nicht genau gesagt werden, wie deren Aufkommen tatsächlich ist zwischen den Messstationen in Kiel und Rostock. Seit dieser Woche steht auch im Kreis Segeberg eine Pollenfalle – auf dem Klinikdach des Forschungszentrums Borstel. Deren Daten werden auch den Forschern und Ärzten bei ihrer Arbeit nützen.
Haustechniker Uwe Schauer schließt das Gerät, das ein bisschen aussieht wie ein Gaskocher, an den Strom an. Ein surrendes Geräusch setzt ein. Mit einer Pumpe werden nun jede Minute etwa zehn Liter Luft durch einen kleinen Schlitz angesaugt, erklärt Landschaftsökologe Matthias Werchan vom PID dem Techniker und Dr. Nestor Gonzales, der die Pollenfalle betreuen wird. Werchan öffnet den Deckel der Station und zieht eine metallene Trommel heraus, die hinter dem Luftschlitz sitzt und sich dort ganz langsam dreht. „Zwei Millimeter pro Stunde.“ Die Oberfläche der Trommel wird ab nächster Woche mit einem klebrigen Film versehen, auf dem die Pollen haften bleiben. Mindestens einmal pro Woche müsse die Trommel getauscht werden, dann hat sie sich einmal gedreht.
Die Auswertung der gesammelten Pollen ist „harte Handarbeit“, sagt Werchan. Unter dem Mikroskop müssen Forscher Gonzales und sein Team die Pollen per Auge anhand ihrer Gestalt bestimmen und auszählen. Das kann in der Hochsaison Stunden dauern. Und nicht immer sei es leicht, die Pollenarten zu unterscheiden. Mit einem neuen Mikroskop, das das Forschungszentrum nächsten Monat erhält, soll die Auswertung mittelfristig automatisiert erfolgen, berichtet Prof. Dr. Frank Petersen, Leiter der Forschungsgruppe Biochemische Immunologie im Programmbereich Asthma und Allergie. Um dann auch tagesaktuell den Pollenflug in der Region zu bestimmen.
Daten, die für Prof. Dr. Uta Jappe bei der Behandlung von Allergiepatienten von großer Bedeutung sind.
Bei Patienten, die auf mehrere Pollenarten reagieren, sei es nicht immer einfach zu bestimmen, welche Allergenquelle die allergischen Reaktionen auslöst, so Jappe. Etwa bei den Frühjahrsblühern Hasel, Birke, Erle. „Als erstes schaue ich dann online beim Polleninformationsdienst, was gerade fliegt“, sagt Jappe. „Aber das ist immer nur ein Mittelwert.“ Demnächst kann die Leiterin der Allergie-Ambulanz auf die Daten der eigenen Pollenfalle zurückgreifen. So könnten Betroffene ihre Medikamente gezielter einsetzen.
Landschaftsökologe Matthias Werchan (Polleninformationsdienst, M.) weist Dr. Nestor Gonzales (l.) und Haustechniker Uwe Schauer in die Funktionsweise der Pollenfalle auf dem Dach der Medizinischen Klinik des Forschungszentrums Borstel ein. Sie ist eine von 40 Stationen des PID.
Dr. Frank Petersen (l.) und Dr. Nestor Gonzales: Unter dem Mikroskop werden die Pollen anhand ihrer Gestalt identifiziert und gezählt.
Viele Patienten von Allergologin Prof. Dr. Uta Jappe haben Beschwerden mit den Frühblühern, insbesondere Birkenpollen.
Fotos: Materne
Wir wollen wissen: Welche Pollen fliegen hier ganz genau?“
Dr. Nestor Gonzales, Forschungszentrum Borstel
Jappe betont, dass Allergien längst als „Volkskrankheit“ gelten. Mindestens 20 Prozent der erwachsenen Bevölkerung sei von mindestens einer Allergie betroffen. Tendenz steigend. Diesen Trend beobachtet Jappe auch anhand der Terminanfragen in ihrer Ambulanz. „Zirka 30 Prozent der Allergiepatienten, die sich bei uns vorstellen, leiden zusätzlich an Atembeschwerden“, sagt sie. Bis hin zu Asthma. Deshalb wird am Forschungszentrum Borstel auch an besseren Therapieverfahren geforscht.
Das bisher einzige Verfahren, das die Ursache der Allergie angeht, die Überreaktion des Immunsystems, ist die Hyposensibilisierung. „Hier müssen wir derzeit oft noch auf Pollenextrakte zurückgreifen“, so Jappe. Zur Behandlung werden bisher vornehmlich Lösungen ganzer Pollen verwendet, um das Immunsystem an ein Allergen zu gewöhnen. Dabei wissen die Forscher längst, dass die „Schuldigen“ bestimmte Proteine in der Polle sind. Diese zu identifizieren, um zukünftig die Immuntherapie zu verbessern, ist das Ziel von Uta Jappe, die auch die Forschungsgruppe für Klinische und Molekulare Allergologie leitet. So werden die Ergebnisse der Grundlagenforschung direkt für die tägliche Allergiediagnostik verwendet und zum Teil bereits in klinischen Therapiestudien angewandt. Auch dabei kann die Allergologin von der hauseigenen Pollenfalle profitieren: zur Wirksamkeitsüberprüfung. Denn der Pollenflug variiert jährlich, erklärt Jappe. Dies könne zu verfälschten Ergebnissen führen, wenn regionale Pollenflugdaten nicht zur Verfügung stehen, wo die Patienten behandelt werden. Aber darüber müssen sich die Wissenschaftler in Borstel keine Sorgen mehr machen.
Weitere Informationen: www.pollenstiftung.de