Du bist ja jetzt schon ein paar Wochen hier in Borstel und hast dich eingelebt. Wie war der Start hier vor Ort? Wie bist du in Borstel angekommen?

Dr. Inken Wohlers: Der Start war sehr gut. Ich hatte von Beginn an viele Meetings, durch die ich sehr viele Borsteler bereits persönlich kennengelernt habe, und weitere Meetings stehen noch an. Direkt zum Jahresbeginn war ich auch gleich mit auf dem Zentrumsretreat und Ende letzten Jahres auch schon auf dem Retreat des Programmbereichs Infektionen. So wurde ich von Anfang an gleich richtig eingebunden, das war echt großartig.

Warum hast du dich eigentlich für Borstel entschieden? Was war da ausschlaggebend?

Dr. Inken Wohlers: Ich war vorher in Lübeck an der Uni und kannte das Forschungszentrum Borstel also schon, zum Beispiel über den Exzellenzcluster „Präzisionsmedizin für chronische Entzündungserkrankungen“ in dessen Rahmen ich die letzten Jahre tätig war. Ich habe dann im letzten Sommer die Stellenausschreibung des FZB gesehen, zu der mein Mann meinte „Das liest sich ja wie dein Lebenslauf“. Das hat wirklich richtig gut gepasst. Und dann noch hier im Norden die Möglichkeit, eine neue Gruppe in genau meinem Forschungsbereich aufzubauen…das war eine seltene und sehr gute Gelegenheit.

Du bist ja mit deiner Gruppe keinem Programmbereich am Forschungszentrum angegliedert, sondern eine eigene Einheit. Bedeutet das für deine Arbeit in Zukunft auch, dass du mit allen Forschungsgruppen und Bereichen in gleichem Maße zusammenarbeiten wirst oder gibt es Schwerpunkte/Fragestellungen, die für dich besser passen?

Dr. Inken Wohlers:  Ich glaube meine Gruppe ist eine sehr zentrale Gruppe am Zentrum, und das in vielerlei Hinsicht: Die Forschung, die wir machen, ist daten- und technologiegetrieben. Wir analysieren Daten unter Verwendung von Methoden der Mathematik und Informatik. Diese datenwissenschaftliche Forschung im Bereich Lungenheilkunde bezieht sich auf die Analyse von biomolekularen Daten. Das Ziel hierbei ist es, biologische Prozesse aufzuklären, und dies in Zusammenarbeit mit Forschungsgruppen beider Programmbereiche. Meine Gruppe fokussiert sich hierbei nicht auf spezifische Fragestellungen, sondern wir können verschiedenste Fragestellungen mit einem gewissen Set an Methoden bearbeiten. Und dies sind hauptsächlich Methoden aus dem Bereich der Bioinformatik. Unser Fokus liegt hierbei auf gewissen Technologien und ihren entsprechenden Daten. Zurzeit ist das die Sequenzierung und hierbei insbesondere die neusten Technologien der Long-read Sequenzierung, mit denen riesige Mengen an langen DNA und RNA-Sequenzen ermittelt werden können. Für solche sequenzierbasierten Datenanalysen gibt es Anknüpfungspunkte an beide Programmbereiche. Zum Beispiel kann man anhand von Sequenzierung komplette Genome entschlüsseln, wie z.B. das des Tuberkuloseerregers. Man kann sich mit derselben Technologie aber auch Methylierungen in der DNA angucken, das sind Modifikationen des genetischen Codes, die sich über das Leben hinweg ändern können und die mit chronischen Lungenerkrankungen in Zusammenhang gebracht werden.

Das Zweite ist, dass meine Gruppe neben der Forschung auch federführend daran arbeitet, am Zentrum die Infrastrukturen für datenwissenschaftliche Analysen weiterzuentwickeln. Konkret harmonisieren, managen und erweitern wir eine Hochleistungsrechenumgebung und eine Forschungsrohdatenspeicherung am Zentrum.

Das Dritte ist, dass wir für ausgewählte Daten Analyse-Workflows zur Verfügung stellen werden, beispielsweise für RNA Sequenzierdaten, welche sehr viele Forschungsgruppen am Zentrum generieren.

Deine Forschungsgruppe „Biomolekulare Datenwissenschaft in der Lungenheilkunde“ arbeitet mit biologischen Hochdurchsatzdaten, sogenannte OMICs-Daten. Kannst du kurz erklären, worum es sich bei eurem Forschungsansatz handelt und was man mit dieser Technologie machen kann, was bisher am FZB nicht bearbeitet werden konnte?

Dr. Inken Wohlers: Bei der Erhebung dieser sogenannten OMICS Daten kann man in einem Experiment sehr viele Moleküle messen. Man misst beispielsweise die gesamte DNA im Rahmen der Genomik (engl. GenOMICS) oder die Gesamtheit aller RNA-Moleküle im Rahmen der Transkriptomik (engl. TranscriptOMICS), um zwei OMICS Arten zu nennen. In einem Hochdurchsatz-Experiment werden Tausende bis viele Millionen von Molekülen gemessen. Die großen Datenmengen, die man erhält, müssen prozessiert, quantifiziert und normalisiert werden. Hierfür und um anhand der Daten Wissen zu generieren spielt dann auch mathematische Modellierung eine Rolle. Typischerweise benötigt man hierbei ein gewisses Repertoire an Methoden der Mathematik und Informatik, welche heutzutage oft unter dem Begriff Datenwissenschaft zusammengefasst werden. Zudem sind die Daten zum Teil sehr groß und nur auf speziell ausgelegten Hochleistungsrechnern zu prozessieren.

Wir können bei laufenden Projekten helfen und vorhandene Daten weiterführend auswerten und natürlich die Datenanalyse in neu anlaufenden Projekten übernehmen. Verschiedenste OMICS Daten werden in der biomedizinischen Forschung auch weiterhin an Bedeutung gewinnen und auch in Borstel zunehmend erhoben werden, dies ist ein Hauptgrund für das Etablieren meiner Arbeitsgruppe.

Wie groß wird deine Gruppe?

Dr. Inken Wohlers: Die Arbeitsgruppe besteht initial aus 3 Mitarbeitern. Dazu gehört ein Systemadministrator, der die Rechen- und Speicherinfrastruktur betreut - den zentrumsweite Rechencluster, den meine Gruppe managet, könnte man als unser Äquivalent zum Labor anderer Forschungsgruppen ansehen. Des Weiteren habe ich aktuell 2 Stellen für Bioinformatiker ausgeschrieben, eine Doktorandenstelle und eine Postdocstelle. Hier suchen wir Kandidaten, die sich auch für Methoden des maschinellen Lernens interessieren. Denn das ist ein Bereich, den ich hier gerne vorantreiben möchte: Methoden des maschinellen Lernens auf große, sequenzbasierte Daten anwenden.

Das klingt sehr spannend. Wird das schon bei euch eingesetzt?

Dr. Inken Wohlers: Aktuell läuft mit der Uni Lübeck ein gemeinsames Masterabeitsprojekt, in welchem wir neuronale Netze zur genombasierten Vorhersage von Autoimmunerkrankungen nutzen. Ähnliche Ansätze wollen wir zukünftig im Bereich der Lungenerkrankungen anwenden, z.B. im Kontext von Antibiotikaresistenzen oder von Asthma.

Das ist ja ein sehr interdisziplinärer Ansatz. Du bist Bioinformatikerin und arbeitest mit Biologen, Chemikern, Physikern zusammen. Klappt die Kommunikation immer reibungsfrei oder gibt es da Barrieren?

Dr. Inken Wohlers: Man muss schon sagen, dass verschiedene Disziplinen sehr unterschiedlich sind. Fachkulturen unterscheiden sich und entsprechend werden viele Dinge unterschiedlich gehandhabt. Darüber hinaus sind Forscher aus unterschiedlichen Disziplinen auch durch unterschiedliche Herangehens- und Denkweisen geprägt. Eine Statistikerin betrachtet ein Projekt von einer anderen Warte aus als ein Mediziner und der wiederum anders als ein Biologe. Das klingt trivial, ist aber in der alltäglichen Zusammenarbeit manchmal eine Herausforderung, denn unterschiedliche Projektpartner bringen ganz unterschiedliche Anforderungen und Erwartungen mit. Aber das ist gerade das, was es spannend und interessant macht. Mir bereitete interdisziplinäre Zusammenarbeit bisher keine Schwierigkeit, im Gegenteil, ich empfinde sie als sehr positiv. Man unterhält sich sehr viel, lernt viel dazu und schafft gemeinsam etwas, was nur aus der eigenen Disziplin heraus nicht möglich wäre.

Wie ist eigentlich dein Werdegang? Wie bist du zur Bioinformatik gekommen?

Dr. Inken Wohlers: Ich habe im Bachelor Mathematik in Medizin und Lebenswissenschaften studiert. Aber ich habe schnell gemerkt, dass mir die Informatik- und insbesondere Bioinformatikvorlesungen am meisten Spaß gemacht haben. Deshalb bin ich für den Master in die Bioinformatik gewechselt und dort auch geblieben. Ich war während meiner Doktorarbeit eher theoretisch unterwegs und habe zu Algorithmen für den Vergleich von Proteinstrukturen promoviert. Danach habe ich angefangen mit Sequenzierdaten zu arbeiten. Mich haben Daten neuer Technologien im molekularbiologischen Bereich schon immer fasziniert. Und das ist auch das, was ich in Borstel weiter machen kann und werde. Da freue ich mich drauf.

Sind die Borstelerinnen und Borsteler eher zurückhaltend oder sind gleich viele Ansatzpunkte entstanden?

Dr. Inken Wohlers:  Es gab viel positive Rückmeldung, vor allem dazu, dass meine Arbeitsgruppe Datenanalyse und Hochdurchsatzdatenmanagement am FZB stärkt und ausbaut. Besonders freue ich mich auch über viel Interesse an Kollaborationen. Ich weiß, dass der Bereich Datenwissenschaft gerade am Boomen ist und sehr hohe Erwartungen damit verbunden sind -- auch am FZB. Um dem gerecht zu werden fokussiert sich meine Arbeitsgruppe auf Daten von Technologien, die für das Forschungszentrum besonders relevant sind und wir freuen uns schon auf die vielen Möglichkeiten für konkrete Zusammenarbeit, die sich daraus ergeben.

Vielen Dank für das Gespräch!