
Berlin, München, jetzt Borstel: Ist das ein Kulturschock?
Prof. Silke Meiners: Das ist anders, gar keine Frage. Aber für mich ist es ein bisschen wie coming home. Ich bin in Hamburg geboren, habe allerdings nur drei Jahre hier in Hamburg gelebt. Da meine Familie aus Bremerhaven kommt, ist für mich Norddeutschland immer wie nach Hause kommen und daher bin ich auch sehr froh hier zu sein.
Haben Sie MitarbeiterInnen aus München mitgenommen? War das eine große Überzeugungsarbeit?
Prof. Silke Meiners: Ich habe nur zwei Mitarbeiterinnen aus München mitgenommen. Eine ist eine chinesische Stipendiatin, die ganz begeistert war von der Idee noch mal einen anderen Teil Deutschlands kennenzulernen. Eine andere Mitarbeiterin ist ebenfalls mitgekommen. Ich hatte die Doktorandin allerdings erst im März letzten Jahres eingestellt und dabei war ganz klar, dass München nur eine kurze Station ist. Sie freut sich auch, dass sie wieder hier ist, da sie in Kiel ihren Master gemacht hat.
Ansonsten habe ich noch eine Mitarbeiterin in München. Sie ist Doktorandin im vierten und letzten Jahr. Sie betreue ich praktisch aus der Ferne bis das Projekt Ende diesen Jahres abgeschlossen ist.
Sie sind jetzt schon ein paar Wochen hier: Wie ist ihr erster Eindruck von Borstel? Haben Sie sich schon ein wenig eingelebt?
Prof. Silke Meiners: Ja, ich glaube schon. Tatsächlich ist es natürlich ein ganz anderes Setting, als das was ich bisher erlebt habe. Ich habe am Charité Campus gearbeitet, dann am Helmholtz Zentrum München mit mehr als 2500 Mitarbeitern. Das ist noch mal eine andere Dimension: Sehr groß und natürlich mit einer großen Verwaltung und „weiten Wegen“. Das macht die Abläufe manchmal etwas langwierig und insofern ist es hier sehr viel angenehmer, da alles auf einem Campus ist. Die Interaktion zwischen den Leuten, zwischen den Menschen ist ganz anders und das ist sehr angenehm. Es ist eine Art Entschleunigung zurück auf das persönliche Miteinander. Nicht immer alles per E-Mail zu machen und dann hoffen, dass irgendjemand die E-Mail mal liest und antwortet, sondern die Dinge gleich im persönlichen und direkten Austausch klären. Das sehe ich schon als ganz andere und besondere Kultur hier, die man nutzen und von der man Gebrauch machen sollte.
Ansonsten ist es recht einfach sich hier einzuleben. Wenn man keine Angst vor Hunden hat! Dann trifft man sich bei Hundespaziergängen und unterhält sich dabei fachlich oder nicht fachlich. Ich finde es großartig und von daher ist mir das Ankommen hier leichtgefallen.
Ist dieses kleinere und überschaubare Setting auch ein Grund gewesen, weshalb Sie hier nach Borstel gekommen sind? Oder was waren die Beweggründe, dass Sie gesagt haben: „Das passt! Hier möchte ich hin!“?
Prof. Silke Meiners: Als ich das erste Mal in Borstel war, da hatte mich Susanne Krauss-Etschmann – ich kenne sie noch ganz gut aus Münchener Zeiten – eingeladen. Da bin ich dann morgens von München nach Hamburg geflogen und dachte mir „Was für ein Stress, jetzt auch noch da rausfahren!“. Und dann habe ich dieses Setting hier gesehen und dachte ich WOW. Ich war sehr positiv überrascht, was dieser Campus ausstrahlt. Das fand ich für mich überraschend und das ist sicherlich auch eine Attraktion des Standorts, wenn man das mag.
Ich fand generell das Konzept, was Neues zu machen und noch mal aus München rauszukommen sehr schön. Es passte auch sehr gut mit meiner neuen Lebensphase zusammen. Die Kinder sind fast alle aus dem Haus gegangen. Nur noch meine jüngste Tochter ist zu Hause in München und die macht diesen Sommer Abitur. Das heißt, da muss man sich sowieso ein bisschen neu orientieren und von daher war das eine tolle Gelegenheit neu loszulegen.
Eine Motivation war leider auch - und das gebe ich offen zu -, dass die Situation in München für mich völlig unattraktiv war. Für meine Arbeitsgruppe habe ich am Helmholtz Zentrum im Grunde keinerlei Perspektive gesehen, sodass ich mich eigentlich schon seit geraumer Zeit auf andere Positionen beworben habe. Insofern war die Gelegenheit über das Leibniz Professorinnen-Programm nach Borstel zu kommen, natürliche eine großartige Möglichkeit, die sehr gut gepasst hat.
Ihre Forschungsgruppe trägt den Namen „Immunologie und Zellbiologie“. Wo liegt ihr Forschungsschwerpunkt hier in Borstel? Woran arbeiten Sie und ihr Team?
Prof. Silke Meiners: Ich forsche am Protein-Mülleimer der Zelle. Jedes Protein, jedes Eiweißmolekül in der Zelle, muss hergestellt und irgendwann wieder abgebaut werden. Es werden Proteine abgebaut, die alt sind, die nicht mehr gebraucht werden oder die beschädigt sind. Und das macht das Proteasom, dieser Protein Mülleimer.
Das Proteasom ist tatsächlich so aufgebaut wie so eine Tonne und da kommen die Proteine dann zielgerichtet rein. Sie werden dann aber nicht in ihre Einzelteile zerlegt, sondern werden in kleine Stückchen zerlegt, in kleine Peptide. Diese Stückchen verwendet die Zelle, um sie auf der Zelloberfläche dem Immunsystem zu präsentieren. Wenn ich jetzt z.B. eine Virusinfektion habe, dann werden auch virale Proteine abgebaut und die entstehenden Peptide werden auf der Zelloberfläche als präsentiert. Dann erkennt das Immunsystem, dass dies ein fremdes Protein ist, was nicht in die Zelle gehört und kann dann die Zelle gezielt abtöten. Damit wird die Virusinfektion im Körper gewöhnlich nach 3 Tagen unter Kontrolle gebracht.
Ich finde deshalb das Konzept des Mülleimers sehr spannend, weil im Grunde der Müll der Zelle verwandt wird um dem Immunsystem Rückmeldung zu geben, was in der Zelle los ist.
Gerade für Lungenerkrankungen hatten wir ganz früh schon das Konzept das z.B. bei Zigarettenrauch Protein geschädigt werden, die dann über das Proteasom abgebaut werden und dadurch neue Proteinstückchen auf der Zelloberfläche präsentiert werden, die dem Immunsystem signalisieren, dass es da in der Zelle ein Problem gibt. Außerdem ist dieses Proteasom natürlich selbst ein Protein und wenn das geschädigt wird, kann man sich vorstellen, was passiert: Wenn der Mülleimer geschädigt ist und nicht mehr seinen Job machen kann, dann quillt der Müll über und dann verstärkt sich der Stress in der Zelle.
Wir glauben, dass dieser Mechanismus wirklich ein ganz zentraler Mechanismus ist, wie die Zelle mit Stress und mit Infektionen umgeht und insofern ist dieses Forschungsthema ein sehr schönes Brückenthema für beide Programmbereiche.
Da nehmen Sie die nächste Frage schon voraus, nämlich ob ihre Forschung Anknüpfungspunkte zu beiden Programmbereichen des FZBs ermöglicht.
Prof. Silke Meiners: Ja ich denke, ich passe hier ganz gut rein. Ursprünglich habe ich den Leibniz Antrag mehr für die chronischen Lungenerkrankungen geschrieben und da komme ich auch her. Ich habe in den letzten 10 Jahren dieses Proteasomsystem in chronische Lungenerkrankungen untersucht, insbesondere bei COPD, Asthma, Lungenfibrose und Lungenkrebs. Und jetzt merke ich eigentlich - auch gerade an dem Interesse der Leute aus dem Infektionsbereich - dass man ganz wenig weiß z.B. bei Tuberkuloseinfektionen. Insofern ist das ein sehr schönes Brückenthema.
Ein Schwerpunkt ihrer Forschung liegt auf dem Immunoproteasoms und sie testen zudem den Einsatz spezifischer Immunoproteasom-Inhibitoren in experimentellen Modellen als neuen Behandlungsansatz bei pulmonalen Erkrankungen. Wieso spielt die Hemmung dieser Moleküle eine wichtige Rolle?
Prof. Silke Meiners: Das Proteasom selbst kommt in jeder Zelle vor und ist eine Art Housekeeping System. Das Proteasom kann gehemmt werden durch sogenannte Proteasominhibitoren. Dann ist die Zelle jedoch völlig hinüber, da der gesamte Proteinabbau lahmgelegt und alles durcheinandergebracht wird. Es kommt zur Apoptose, also den Selbstmord der Zelle. Das wird tatsächlich bereits seit ein paar Jahren genutzt bei der Tumortherapie, insbesondere bei Patienten mit multiplem Myelom. Da sind auch schon seit 2004 Inhibitoren zugelassen für die klinische Behandlung.
Das Immunoproteasom ist ein spezialisiertes Proteasom, was nur in Immunzellen vorkommt und was in den normalen Zellen, z.B. in Epithelzellen der Lunge hoch geregelt wird, wenn wir einer Virusinfektion oder eine Entzündung haben. Das heißt, das ist ein Proteasom, welches dann gezielt induziert wird. Es gibt seit einiger Zeit spezifische Inhibitoren für dieses Immunoproteasom.
Damit können diese immunoproteasomspezifischen Inhibitoren gezielter Immunvorgänge ansteuern und blockieren. Diese Inhibitoren werden derzeit getestet bei Autoimmunerkrankungen und da sehe ich eigentlich die Möglichkeit auch gerade bei chronischen Lungenerkrankungen. Dazu muss man allerdings zunächst genauer verstehen, was da passiert. Unsere ersten Forschungsergebnisse weisen deutlich darauf hin, dass das Immunoproteasom eigentlich viel zu lange an ist und damit ein Teil dieser chronischen Entzündungsreaktion in der Lunge ist. Wie das bei Tuberkulose ist, weiß man eigentlich noch nicht. Das ist ganz offen und das müssen wir erst einmal verstehen.
Wie sind Sie eigentlich zu ihrem Forschungsfeld gekommen? Wie ist ihr Werdegang und was fasziniert Sie besonders?
Prof. Silke Meiners: Tatsächlich hat mich Biologie schon in der Schule fasziniert und zwar die Molekularbiologie. Das war damals noch so ein bisschen in den Anfängen, als ich an der Universität Bonn Biologie studiert habe. Damals wurde noch viel Pflanzenphysiologie, Tierphysiologie und Botanik gelehrt. Ich fand das ziemlich langweilig. Was mich interessiert hat, war die Biochemie, die Genetik und die Molekularbiologie. Das fand ich total faszinierend und vor allem die Komplexität in der Zelle: Je mehr man von den Vorgängen in der Zelle weiß, desto mehr Fragen entstehen.
Richtig spannend fand ich in der Molekularbiologie immer das Konzept der Kausalität. Das ist zum Beispiel zentral, wenn man verstehen möchte wie die Zelle auf Reize reagiert. Kausalität ist das Grundverständnis in den Naturwissenschaften.
In den letzten Jahren - gerade über die neue Big Data Science und Systembiologie - versteht man erst, dass wir ein ganz anderes Denken brauchen, ein systemisches Denken. Wir müssen uns das wahrscheinlich in Wellen vorstellen. Der Reiz stößt etwas an in der Zelle und dann breitet sich eine Signalwelle in der Zelle aus. Und mit dem Proteasom hatte ich eigentlich schon immer so ein Themenbereich, wo ich in diese Richtung denken musste. Wenn ich das Proteasom hemme, dann mache ich ganz, ganz viele Dinge in der Zelle. Das ist nicht nur ein Molekül, was verändert wird und einen Signalweg ändert, sondern es sind tausende Dinge, die dann gleichzeitig passieren. Ich hatte immer die Schwierigkeiten, das zu publizieren. Denn die Denkweise, gerade auch in der Biologie ist nach wie vor verhaftet auf eine direkte Kausalität. Und das ist meines Erachtens eine unerlaubte Reduktion der Komplexität. Und diese Komplexität, dass es viel mehr ist als „A macht B und C“, das fasziniert mich sehr.
Neben dieser nötigen Faszination für die Forschung: Können Sie jungen Wissenschaftler*innen Tipps mit auf den Weg geben, wie man es schafft in der Forschung erfolgreich zu sein?
Prof. Silke Meiners: Was mir geholfen hat ist wirklich, dass mich ein Thema fasziniert hat und ich mich ab einem bestimmten Punkt spezialisiert hatte und das Gefühl hatte „Ok, von diesem System verstehe ich was!“ Ich habe bestimmt nicht alle Paper zum Proteasom gelesen, aber ich bin lange genug im Geschäft, um zu sagen: Beim Proteasom kenne ich mich aus! Ich kenne mich aber schon nicht mehr aus bei Tuberkulose oder zum Beispiel Allergien. Ich habe meine Forschung deshalb eigentlich immer ein bisschen als Nischenforschung definiert. Ich hatte ein System, wo ich mich auskannte und wo ich das Gefühl hatte, da bin ich Expertin und da kann ich auch einigermaßen den Überblick behalten. Und dann habe ich mich mit diesem Wissen und auch mit dieser Sicherheit vorgewagt in Bereiche, die neu sind. Beim Proteasom in Lungenerkrankungen waren wir die Ersten, die das untersucht haben. Darüber haben wir so eine Art „unique selling point“, der dann auch sehr motivierend ist. Aber das bedeutet letztendlich, dass man sich aus seiner Komfortzone rausbewegt und teilweise ganz dumme Fragen stellen muss. Aber wenn man davor keine Angst hat, dann kann man sehr schön was Neues machen und ganz viel Neues lernen. Das ist unglaublich spannend. Man darf sich auch erlauben dumme Fragen zu stellen, weil die Anderen wissen man hat Ahnung vom Proteasom.
Ich glaube, das war und ist für mich eine sehr hilfreiche Strategie, denn ich habe lange Teilzeit gearbeitet, um mehr Zeit für meine Kinder zu haben. Das war mir immer wichtig, neben der Forschung Zeit für die Familie zu haben. Eine frühe Erkenntnis mit dem ersten Kind war - für mich zumindest -, dass man nicht alles gleichzeitig haben kann. Ich kann nicht die Supermom sein, wenn ich viel arbeite, und ich kann nicht die Super-Wissenschaftlerin sein, wenn ich auch Zeit für die Familie haben möchte. Ich kann also nicht mit einem Labor mithalten, wo 3 Postdocs gleichzeitig an einem meiner Themen arbeiten. Deswegen habe ich immer versucht, diesem Druck so ein bisschen auszuweichen, in dem ich meine eigene Nische finde.
Vor allen Dingen sollte man sich nicht ins Bockshorn jagen lassen von dieser Idee, dass Wissenschaft nur in Fulltime möglich ist. Manche Leute vertreten das vehement - auch gerade jungen Wissenschaftlerinnen - gegenüber. Ich finde das unerträglich. Jeder sollte seinen eigenen Weg gehen dürfen und jeder muss es für sich selbst rausfinden, wie es passt und wie man glücklich ist. Für Männer und Frauen, die beides haben wollen, nämlich Zeit für Familie und Wissenschaft, muss es doch auch andere Möglichkeiten geben. Es ist nicht ganz einfach, aber wenn ich für etwas brenne, dann kann ich versuchen es möglich zu machen.
Vielen Dank für das Interview!