
Mikrobiomforschung ist ja aktuell in aller Munde und auch am FZB ist die Forschung an diesem Thema in den letzten Jahren in den Fokus gerückt. Was ist überhaupt ein Mikrobiom und wie kann es generell bei der Behandlung von Krankheiten helfen?
Prof. Matthias Merker: Das Mikrobiom umfasst eigentlich alle Mikroorganismen in einer bestimmten Umgebung, z.B. auch Viren und Pilze, aber in und auf unserem Körper dominieren die Bakterien. Auch die Lunge hat ihr eigenes Mikrobiom, was am Leibniz Lungenzentrum natürlich einen besonderen Stellenwert hat. Man sagt, dass so ca. 1-2 Kilogramm unseres Körpergewichts aus Bakterien bestehen. Da kann man sich vielleicht schon etwas besser vorstellen, dass eine Veränderung in der Zusammensetzung oder der Anzahl von Bakterien Auswirkungen auf die Gesundheit und verschiedene Erkrankungen haben kann. Klassisches Beispiel ist oft der Kollateralschaden von Antibiotika auf unsere Darmflora. Reduzieren wir die „guten“ Bakterien, ist auf einmal mehr Lebensraum und weniger Konkurrenz für Pathogene da, was zu Folgeerkrankungen oder zu einer Besiedelung mit resistenten Bakterien führen kann. Eine Behandlungsoption wäre dann tatsächlich, dass man nach einer Antibiotika Behandlung eine „Mikrobiom-Therapie“, also einen Cocktail aus „guten“ Bakterien bekommt, die dann ein gesundes Mikrobiom wieder herstellen. Solche Mikrobiom-Therapien warten z.B. bei wiederkehrenden Clostridium difficile Infektion (Durchfallerkrankung nach Antibiotikaeinnahme) derzeit auf eine Zulassung. Die große Herausforderung für die Wissenschaft ist derzeit jedoch zu bestimmen, was ist eigentlich ein gesundes Mikrobiom? Welche Veränderungen im Mikrobiom sind mit guten oder schlechten Behandlungsverläufen assoziiert und können wir dafür bestimmte Ursachen, Signalwege oder Moleküle identifizieren, die dann wiederum als Therapeutika dienen könnten.
Die Forschungsgruppe "Evolution des Resistoms" beschäftigt sich ja auch mit dem Mikrobiom, bzw. mit dem Resistom. Wie unterscheidet sich das Resistom vom Mikrobiom - woran forscht ihr genau?
Prof. Matthias Merker: Das Resistome umfasst alle Antibiotika-Resistenzgene in einem Mikrobiom. Die klassische Mikrobiomanalyse guckt allerding nur auf einen kleinen Genabschnitt (16S rRNA), der bei allen Bakterien vorhanden ist und man erhält dadurch nur die Information welche Bakterien-Gattung, z.B. Escherichia, in einer Probe ist. Man weiß aber nicht, ob da vielleicht der Shigatoxin produzierende Stamm Escherichia coli O104:H4 mit dabei ist. Wir wollen nun die moderne DNA-Sequenzierung am FZB verwenden, um alle Gene in einem Mikrobiom zu identifizieren. Klinisch relevant sind da natürlich besonders die Antibiotika Resistenz-vermittelnden Gene, aber auch wie zuvor erwähnt bestimmte Stoffelwechselwege oder Toxine können so im Detail analysiert werden.
Beschäftigt ihr euch nur mit Tuberkulose oder spielt die Resistomforschung auch bei anderen Krankheiten eine Rolle, bzw kann auf andere Krankheiten angewendet werden?
Prof. Matthias Merker: Mein Hintergrund ist hauptsächlich die Resistenzevolution bei Tuberkulosebakterien, deswegen bin ich besonders froh über meine neuen Mitarbeiter und Kollaborationen. Meriem Belheouane ist vom MPI in Plön zu uns gekommen und ist eine Expertin bei der Analyse von besonders schwierigen Mikrobiomproben mit wenigen Bakterien, wie z.B. aus der Lunge. Zusammen mit unserer Doktorandin Sabine Petersen und Margo Diricks aus der Gruppe von Prof. Niemann gucken wir uns derzeit die Resistenzevolution von Bakterien der Gattung Haemophilus an. Hier sind besonders Ampicilin resistente Haemophilus influenzae Stämme ein weltweites Problem. Mit dem Programmbereich Chronische Lungenerkrankungen hat sich eine sehr harmonische Mikrobiom Forschergruppe zusammen getan in der wir uns einmal im Monat über den Stand der Wissenschaft updaten und sich langsam neue Kollaborationen anbahnen. Sowohl die Mikrobiomanalyse aber auch die Forschung an Haemophilus influenzae sind hier hervorragende Querschnitts Themen zwischen den Programmbereichen.
Du bist ja schon lange in Borstel zu Hause und hast vorher in der Forschungsgruppe "Molekulare und Experimentelle Mykobakteriologie" gearbeitet. Wie bist du zur Tuberkuloseforschung gekommen und was fasziniert dich an diesem Themenfeld? Was hält dich hier in Borstel?
Prof. Matthias Merker: Ich bin eigentlich wegen der Möglichkeiten der DNA-Sequenzierung in die Gruppe von Prof. Niemann gekommen. Der größte Glücksfall war dann aber tatsächlich das ich mit der neusten Technologie (next generation sequencing) während meiner Doktorarbeit „aufwachsen“ konnte. Ich hab so zusagen „on the job“ gelernt habe, wie man mit diesen Datensätzen umgeht und welche Möglichkeiten sich damit eröffnen. Zu Beginn meiner Zeit in Borstel hat man zum Beispiel über die Anzahl der Mutationen im Erbgut der Tuberkulosebakterien den Ursprung der Krankheit auf ca.70 Tausend Jahre bestimmen können. Sprich die Bakterien haben sich mit dem Menschen aus Afrika in der ganzen Welt verbreitet. Wir konnten dann später mit der gleichen Technik die Entstehung von Antibiotikaresistenzen datieren und haben dabei auch viele neue Mutationen gefunden, die auch neueste Medikamente unwirksam machen können. Diese Daten sind u.a. in WHO guidelines für die molekulare Resistenzdiagnostik mit eingeflossen und ich konnte in großen Konsortien mitwirken. Ich habe immer das Gefühl, dass unsere Forschung am FZB etwas bewegt und als dann vor zwei Jahren noch meine Freundin zum FZB gekommen ist, hatte ich keinen Grund mehr zu gehen.
Das Ziel ist es, Tuberkulose bis 2030 weltweit erfolgreich bekämpft zu haben. Ist das Ziel realistisch? Wie kann es aus deiner Sicht erreicht werden?
Prof. Matthias Merker: Wir leben seit 70 Tausend Jahren mit dem Erreger und auch mit modernster Diagnostik und Antibiotika-Kombinationen können wir leider nicht alle Patienten heilen. Viele legen deswegen ihre größte Hoffnung in die Entwicklung von effektiveren Vakzinen. Aber auch hier sind leider die letzten vielversprechenden Kandidaten gescheitert. Realistisch ist sicherlich die Fallzahlen stark zu drücken. Dafür müsste man aber verstärkt in die Infrastruktur für Diagnostik, und Patientenbehandlung sowie die Medikamentenverfügbarkeit in den „hotspot“ Regionen der Welt investieren. Bis 2030 bin ich eher pessimistisch aber mit steigenden Lebensstandards sind in der Regel auch die Tuberkulosefallzahlen zurückgegangen. Sobald man die Infektionsketten nachvollziehen kann und Patienten in einer individualisierten Behandlung sind, ist die Tuberkulose beherrschbar.
Vielen Dank für das Interview!
Das Interview führte Britta Weller (Öffentlichkeitsarbeit)